8. Juli 2007

Österreichische Symbolpolitik: Was ist Mozart und Freud gemeinsam?

Der Fall Mozart

Im heutigen Österreich figuriert die Person Wolfgang Amadeus Mozarts bekanntermaßen als Nationalsymbol de facto, was jedoch nicht so nahe liegt, wie man zunächst denken mag: Mozart wurde 1756 im damaligen Fürstbistum Salzburg, also innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, doch außerhalb des seinerzeitigen Österreich geboren. Obwohl die Political Correctness die Abgrenzung "Österreichs" von "Deutschland" postuliert, hat sich die Zweite Republik seine Figur praktisch angeeignet. Nichtsdestoweniger ist Mozart 2003 bei der ZDF-Sendung Unsere Besten zur Wahl gestanden, was in Österreich öffentliche Empörung ausgelöst hat; trotzdem hat er auf Platz 20 rangiert.

Wem "gehört" nun Mozart? Eigentlich - und nicht zuletzt auch rechtlich - gehört er der ganzen Welt, doch gerade an solchen Kleinigkeiten werden bedeutsame Praktiken sichtbar. Aller Aufregung zum Trotz kann Österreich in Bezug auf Mozart den Alleinvertretungsanspruch nicht erheben. Es scheint eher, dass seine Person in Österreich entkontextualisiert wird. Die Zugehörigkeit Mozarts zu Österreich wird v. a. darauf zurückgeführt, dass er auf dem heutigen Staatsgebiet Österreichs geboren wurde, auch wenn er später in Mittel- und Westeuropa praktisch überall auftrat. Jedoch wird dieses ehrliche Kriterium eher inkonsequent angewandt, wie aus dem nächsten Fall zu ersehen ist.

Der Fall Freud

Am 5. und 6. Mai 2006 wurden alle 29 Österreichischen Kulturforen anlässlich des 150. Geburtstages Sigmund Freuds symbolisch, also für diese beiden Tage, in "Sigmund-Freud-Institute" umbenannt. Dass thematisch eher unbeschränkte Einrichtungen sich trotzdem in die Tradition einer bestimmten, weltberühmten Person zu stellen versuchen, um durch diese scheinbare Aneignung der Tradition an Profil zu gewinnen, ist verständlich und insbesondere im deutschsprachigen Mitteleuropa weit verbreitet; man denke etwa an das bundesrepublikanische Goethe-Institut, in dessen Fußstapfen die weltweit verzweigten Österreichischen Kulturforen treten wollen. Problematisch wird diese Form der Traditionsaneignung wohl erst, wenn die Einrichtung einen Staat vertritt, dessen eigentliche Politik der amtlich (wenn auch kurzfristig) angeeigneten Tradition widerspricht.

Vom teilweise skandalösen Umgang der Zweiten Republik mit den zurückgekehrten Juden braucht man hier nicht zu reden; stattdessen ist Ruth Beckermanns Unzugehörig. Österreicher und Juden nach 1945 (Wien: Löcker, 1989) zu empfehlen. Zum Verständnis der Freud-Problematik reicht es also auf Folgendes hinzuweisen: Obwohl die Zweite Republik sich selbst als der Nachfolgestaat der Habsburgermonarchie schlechthin darstellt, wenn es ihr Touristen oder sonstige Gewinne bringt, haben Juden, die selber oder deren Eltern bzw. Großeltern im damals kaiserlich-königlichen Österreich bzw. Cisleithanien geboren wurden (was übrigens nicht auf mich zutrifft), heute keinen Anspruch auf die österreichische Staatsangehörigkeit. Nichtsdestoweniger haben sich die österreichischen Kulturvertretungen im Ausland, wenn auch kurzfristig, doch an den aus Mähren gebürtigen Freud angelehnt, der aber nach der Rechtslage der Zweiten Republik kein Österreicher hätte werden können. Erwähnenswert sind auch die Widmung des 50-Schilling-Scheins am 2. Jänner 1986 (deren Anlass mir unbekannt ist) und die Widmung der festlichen 50-Schilling-Münze im Jahre 2000 (anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Freuds Traumdeutung). Auch in diesem Fall wird die Figur entkontextualisiert und inkonsequent benutzt: Freud wird nur insofern in das Repertoire aufgenommen, als seine Figur Österreich gut repräsentieren kann, ohne dass sein Fall für Österreich bzw. dessen Einwanderungspolitik repräsentativ wird.

Eine mögliche Erklärung

Mir scheint die Entkontextualisierung kein Zufall, sondern ein wesentlicher Zug der nationalen Identitätsstiftung in der Zweiten Republik zu sein. Diese Praktik ist aus dem politisch korrekten Selbstverständnis der Zweiten Republik entstanden und wird noch immer von ihm gezwungen. Dieses nationale Selbstverständnis dogmatisiert die Gegenüberstellung von Österreich und Deutschland als zwei ebenbürtigen, voneinander abgegrenzten Nationalstaaten. Zu diesem Zweck wird ein tragfähiges Narrativ benötigt, weshalb die Vorstellung von Gleichwertigkeit und Abgrenzung auch rückwirkend, d.h. sogar für die Zeit bis 1945 angewandt wird, obwohl das Österreichbewusstsein in der Ersten Republik kaum verbreitet war. Durch die - wenn auch inkonsequente - Aneignung von repräsentativen Personen aus der Zeit vor der Zweiten Republik wird das neue, aber auch auf die Vergangenheit bezogene Selbstverständnis bestätigt.

Bei weiterem Interesse an der verschlungenen Genese des Terminus "Österreich": Zöllner, Erich. Der Österreichbegriff. Formen und Wandlungen in der Geschichte. Wien: Verlag für Geschichte und Politik, 1988

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Olá Yoav !

Als ein in Portugal lebender Beobachter freue ich mich über diesen Deinen neuen Blog besonders.
Wer einen tschechischen eingedeutschten Namen und bundesrepublikanischen Paß trägt, denn auch Inhaber von "Schutzbriefen" wurden auf liebenswerte Weise (weil 1. Klasse)über die Grenze geschickt - und heute mit dem Schicksal der "Marranos" konfrontiert wird, nämlich ich, den beschäftigt die Frage an sich selber, wie wohl das Dilemma jüdischen Überlebens zu meistern ist: vielleicht besser doch als Kryptojude ?
Und was wohl die Assimilierung meiner väterlichen Vorfahren verursacht haben könnte.-
Abgrenzungen gab es, zumindest gegenüber Preussen, weil die Preussen Kaffeesahne in den Kaffee gossen und nachmittags Kuchen assen statt eine heisse Wurst und das Hauruck-Marschieren war einem österreichischem tänzelndem Rythmusempfinden (Radetzkzmarsch) wesensfremd...(das galt vice-versa).
Schöne Grüße aus Portugal
Ralf