7. Juli 2007

Das kleindeutsche historische Museum

Die Aktualität der "österreichischen Frage" für die gegenwärtige deutsche Geschichtsschreibung lässt sich anhand des Deutschen Historischen Museums in Berlin-Mitte (unter den Linden) sehr gut veranschaulichen. Dort wird nämlich österreichische Geschichte - ob als Geschlechtergeschichte der Habsburger oder etwa als "Präsidialmacht" im Deutschen Bund - kaum thematisiert. Ebenso wenig kommt "Vorderösterreich" bzw. die österreichischen Vorlande (v. a. im heutigen Bundesland Baden-Württemberg) kaum als solche vor. Eine wichtige Ausnahme bildet die zweimalige Belagerung Wiens durch die Türken.

Vor ein paar Monaten war ich im DHM mit einer Studentengruppe, die eine Führung von einem der Mitgestalter der Dauerausstellung bekommen hat. Dabei hat er vor allem die Entstehungsgeschichte der Daueraustellung erklärt und sich auch auf deren Schwachstellen bezogen. Auf meine Frage, weshalb das Thema "Österreich" in der Ausstellung in einem doch so geringen Maße aufgegriffen wird, hat er geantwortet (zwar nicht genau in dieser Formulierung, aber immerhin), dass nicht nur Österreich, sondern auch andere Nachbarländer - wie Frankreich und Dänemark (sic!) - unterrepräsentiert seien und nur insofern ins Blickfeld der Ausstellung geraten würden, als sie direkten Einfluss auf die deutsche Geschichte ausübten (daher die Einbeziehung der Türkenbelagerung Wiens, zu dessen Verteidigung ja auch "deutsche" Streitkräfte beitrugen). Dies rühre daher, dass sich das Gründungskomitee des DHM sehr früh bei der Entwicklung des Museumskonzepts für eine kleindeutsche (sic!) Darstellungsweise entschieden hat.

Die kleindeutsche Lösung der Deutschen Frage war jedoch bis Königgrätz nichts mehr als eine unter mehreren, damals (noch) unverwirklichten Möglichkeiten. Dies kann man etwa daraus ersehen, dass Deutschösterreicher noch kurz vor Königgrätz, nämlich bei der Frankfurter Nationalversammlung, eine zentrale Rolle spielten. Die von den Gründern des DHM getroffene Entscheidung, Österreich "herunterzuspielen" und nicht als führende Kraft in der deutschen Geschichte darzustellen, geht folglich nicht auf historische Tatsachen zurück, die eher gegen diese Entscheidung sprechen, sondern auf die heutzutage vorherrschende Geschichtspolitik, die vorschreibt, dass Österreich sogar rückwirkend, d.h. auch für die Zeit bis 1945, aus der deutschen Geschichte zu entfernen wäre.

Eigentlich ist die im DHM vermittelte Vorstellung von einer deutschen Geschichte, die sich sogar bis in die Antike erstreckt, geschichtswissenschaftlich bereits an sich sehr problematisch. Aber wenn man schon eine epochenübergreifende deutsche Geschichte konstruieren will, soll man natürlich versuchen, alle deutschsprachigen Gebiete, Bevölkerungen und Adelsgeschlechter einzubeziehen. Dass gerade das deutschsprachige Österreich - bis zum Deutschen Dualismus (und gewissermaßen auch dabei) wohl der wichtigste Faktor im deutschsprachigen Mitteleuropa - seinen Platz in der gegenwärtigen Geschichtsschreibung nicht finden darf, weist auf die kraftvollen Zwänge, mit denen wir heutzutage zu tun haben, und somit auch auf die hohe Aktualität der "österreichischen Frage" hin.

Im Hinblick auf diese Zwänge ist es wichtig zu bemerken, dass die heutige Geschichtsschreibung, die sowohl in Deutschland als auch in Österreich die politisch korrekte Geschichtspolitik untermauern soll, tatsächlich nicht den historischen Tatsachen, sondern dieser Political Correctness entspringt und von deren Zwängen bestimmt wird. Vor diesem Hintergrund ragt Karl Dietrich Erdmann heraus, der in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre eine These von drei Staaten (BRD, DDR, Österreich), zwei Nationen und einem Volk entwickelt und damit versucht hat, Österreich wieder in die deutsche Geschichtsschreibung zu integrieren (Erdmann, Karl Dietrich. Die Spur Österreichs in der deutschen Geschichte. Drei Staaten, zwei Nationen, ein Volk? Zürich: Manesse, 1989).

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