29. Juli 2007

Die Konstruktion des Österreichischen

Sei es über die EU-Wörterliste (Protokoll Nr. 10) oder über die zahlreichen Werke, die sorgfältig nach Unterschieden zwischen dem "österreichischen" und dem "deutschen" bzw. bundesrepublikanischen Deutsch suchen: Für die Österreicher ist es zum persönlichen Anliegen geworden, sich von den Deutschen auch in sprachlicher Hinsicht abzugrenzen.

Zu einer Zeit wie der heutigen, wo im Oberrahmen der EU politische und sonstige (etwa monetäre) Grenzen an Bedeutung verlieren oder gar aufgehoben werden, richtet der Mensch sein Augenmerk auf andere Kriterien, die ihm zur Feststellung der eigenen Lage in der unüberschaubaren Welt verhelfen. So können z. B. der Heimatsort, der Beruf, der Bildungsstand, die politische Orientierung, aber auch Gruppierungen der Alltagskultur (wie Nationalmannschaften und andere Sportvereine) die Ersatzkoordinaten bilden, die zur weiteren Selbstidentifizierung benötigt werden.

Jedoch zeichnet sich das neue Europa in erster Linie durch seine sprachliche Vielfalt aus. Dabei kann dem Menschen gerade die Muttersprache, die ja jenseits des Einflussbereiches der großen Politik liegt, Kontinuität und Sicherheit bieten: So z. B. in Belgien, wo die Sprachzugehörigkeit eine zentrale Rolle als Identifikationsmittel spielt, und so auch in Österreich, wo man sich abgrenzungshalber darum bemüht, eine sprachliche Nationalidentität zu stiften.

Doch prozentuell bemessen, d.h. im Vergleich mit der Gesamtzahl der Wörter in der (seit eh und je "multinationalen") deutschen Sprache, ist die Zahl der Abweichungen des "Österreichischen" vom "Bundesrepublikanischen" völlig bedeutungslos. Noch wichtiger ist aber darauf hinzuweisen, dass das einheitlich konstruierte "bundesrepublikanische Deutsch" eigentlich gar nicht existiert. Wenn schon, so sind die Unterschiede (im Großen und Ganzen) zwischen dem norddeutschen und dem süddeutschen Sprachraum (etwa Sonnabend vs. Samstag, gestanden haben vs. gestanden sein) weit umfangreicher als die eher feinen Unterschiede innerhalb des süddeutschen Sprachraums, etwa zwischen Oberösterreich und Niederbayern. Im Hinblick auf die Aussprache bzw. den Dialekt werden die Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland sowie die Ähnlichkeiten innerhalb des süddeutschen Sprachraumes umso deutlicher. Und nicht zuletzt kann wiederum selbst das kleine Österreich keine sprachliche Einheitlichkeit aufweisen: Man denke ans alemannische Vorarlberg im Westen (dessen Bevölkerung sich 1919 mit klarer, überwältigender Mehrheit in der Tat die Aufnahme in die Schweizerische Eidgenossenschaft wünschte) sowie an die fremdsprachigen Minderheiten im Süden und Osten des Landes.

Auch der Nachkriegsopportunismus, der die österreichische Politik sonst über Jahrzehnte hinweg geprägt hat, scheint gerade in sprachlicher Hinsicht fast spurlos verschwunden zu sein: In den ersten Nachkriegsjahren, als Felix Hurdes der Bundesminister für Unterricht war, wurde die Schulfachbezeichnung "Deutsch" zwar durch "Unterrichtssprache" ersetzt - doch dieser Ansatz erwies sich bald als eine wirklichkeitsfremde Episode. Seit dem 1. Mai 1945, als die Verfassung von 1929 wieder in Kraft setzt wurde, ist Österreich abermals das einzige Land der Welt, in dessen Verfassung dem Deutschen die Rechtsstellung als Landessprache vorbehalten ist: Artikel 8. (1) Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik.

Es lässt sich also Folgendes beobachten:

1. Ein normaler Umgang mit der deutschen Muttersprache, bei dem sowohl die gemeinsame Basis als auch regionale Unterschiede widerspruchsfrei anerkannt werden, scheint in Österreich noch immer nicht möglich bzw. salonfähig zu sein. Im Gegensatz etwa zum Verhältnis zwischen englischsprachigen Ländern, aber auch zu den anderen Regionen im deutschsprachigen Mitteleuropa, wird in Österreich die "nationale Varietät" deutlich überschätzt, um damit eine klare Sprachgrenze zu fingieren.

2. Das "Österreichische" ist, wenn auch rein gedanklich, immerhin schon deswegen vorhanden, weil bei vielen Österreichern einfach das Bedürfnis nach diesem sprachlichen Konstrukt besteht. Diese Österreicher wollen ihre junge Nationalidentität bewahren, und zwar erst recht dann, nachdem andere Grenzen zum Großen Nachbarn weggefallen sind (und wenn z. B. viele ehemalige Ostdeutsche in Österreich arbeiten). Der verstärkte Abgrenzungswunsch geht in Erfüllung, indem eine sprachliche Ersatzgrenze zwischen den beiden Staaten postuliert wird.

3. Damit es das "Österreichische" überhaupt geben kann, wird die Existenz eines ebenfalls fingierten "deutschen Deutschen" vorausgesetzt, dem das "Österreichische" gegenüberzustellen und gleichzusetzen sei. Zu diesem Zweck wird von der sprachlichen Vielfalt innerhalb der BRD und insbesondere von den Ähnlichkeiten, die viele Regionen im Süden der BRD mit Österreich aufweisen, abgesehen. Stattdessen wird der norddeutsche Sprachgebrauch zur vermeintlichen Standardsprache der BRD erhoben. Im Übrigen wird auch der Mangel an sprachlicher Einheitlichkeit innerhalb Österreichs verdrängt.

4. Gerade an dieser Praktik der sprachlichen Abgrenzung manifestiert sich die entscheidende Bedeutung der BRD für die österreichische Identitätsstiftung. In ihrer Rolle als "Deutschland" fungiert die BRD noch immer als erster Bezugspunkt des neuen Nationalbewusstseins Österreichs.

Zum Schluss ein sachbezogener Literaturhinweis: Cillia, Rudolf de, und Wodak, Ruth. Ist Österreich ein »deutsches« Land? Sprachenpolitik und Identität in der Zweiten Republik. Innsbruck, Wien und Bozen: Studienverlag, 2006

10. Juli 2007

"Deutschland? Aber wo liegt es?"

Die zentrale Stelle an der dreiseitigen Fassade des nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebauten bzw. restaurierten Burgtheaters in Wien besetzen die Büsten (v. l. n. r.) Lessings, Goethes und Schillers. Am linken Seitenflügel der Fassade sind Calderón, Shakespeare und Molière, am rechten Seitenflügel Hebbel, Grillparzer und Friedrich Halm abgebildet. Im Mittelpunkt befinden sich also drei Deutsche; links drei nicht-deutschsprachige Ausländer; und rechts zwei Österreicher - Halm wurde im damals kurzfristig habsburgischen Krakau geboren und wuchs schon in Wien auf - sowie ein "Deutscher" (Friedrich Hebbel), der zwar dänischer Untertan war, aber immerhin die zweite Hälfte seines Erwachsenenlebens in Wien verbrachte und in diesem Zusammenhang als Österreicher zählt.

In Anbetracht der zahlreichen Bemühungen, Österreich sogar in sprachlicher Hinsicht von Deutschland abzugrenzen, erscheint es eher merkwürdig, dass gerade drei Deutschen diese Ehre im Mittelpunkt der Fassade des wohl wichtigsten Theaters in Österreich erwiesen wird. Läge es nicht näher, die Büsten der drei Deutschen an den weniger sichtbaren rechten Seitenflügel zu verlegen, wo sie - dem österreichischen Narrativ entsprechend - mit den drei Ausländern am linken Seitenflügel gleichgesetzt würden? Und wäre es nicht zu erwarten, dass gerade die österreichischen Dichter nach vorne gebracht werden?

Es scheint eher unwahrscheinlich, dass sich auch im Falle des restauierten Burgtheaters die Tendenz zur Entkontextualisierung manifestiert. Nur scheinbar kann damit, wie am Ende dieses Beitrages verständlich wird, die "Verösterreichischung" des aus Dithmarschen (im heutigen Bundesland Schleswig-Holstein) gebürtigen Hebbels erklärt werden. Noch weniger trifft diese Erklärungsmöglichkeit auf die anderen Schwierigkeiten zu, die die Fassade aufzuweisen weiß: Eine entkontextualisierte Aneignung der drei "Titaten" deutscher Dichtung wäre einfach zu weit hergeholt, um irgendwie noch hingenommen werden zu können. Zudem wäre damit die ausgesprochene Marginalisierung der zwei bzw. drei Österreicher kaum erklärt.

Es kann aber auch sein, dass die Grenzen gar nicht so klar verlaufen, wie die Political Correctness es suggeriert. Vielleicht sind die Büsten der drei deutschen Dichter gerade in Wien am Platze: Sie wurden ja alle im Alten Reich geboren; dort - weder in der Zweiten Republik noch in der BRD - wuchsen sie auf, studierten und arbeiteten sie an ihren Texten; zwei von ihnen, nämlich Lessing und Schiller, starben noch in diesem Reich, dessen Bedeutung zwar längst verschwommen war, das aber weit länger bestand als alle anderen politischen Gefüge im deutschsprachigen Mitteleuropa - einschließlich der heutigen. Wenn diese Dichter an Deutschland dachten und in ihren kanonischen Texten darüber schrieben, stellten sie sich nichts anderes vor als dieses erste Reich, dessen damalige Kaiser in Wien residierten. Gäbe es für ihre so repräsentativen Büsten eine bessere Lage als den Mittelpunkt der restauierten Fassade des wichtigsten Theaters dieser ehemaligen Residenzstadt?

Die eigentliche Frage lautet also nicht, was die drei Deutschen an dieser Stelle zu suchen haben, sondern wie plausibel das Selbstverständnis der Zweiten Republik sein kann, wenn es die Fassade des wichtigsten Theaters dieser Republik so erklärungsbedürftig erscheinen lässt. An diesem Beispiel wird erkennbar, dass das heute bereits weit verberitete Vorstellung von Österreich als einem Nationalstaat, der "Deutschland" gegenüberzustellen ist, eine noch relativ junge Erscheinung ist.

In der Ersten Republik, die noch als "zweiter deutscher Staat" verstanden wurde, konnte sich diese Vorstellung nicht durchsetzen. Erst durch die Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg gewann sie an Anziehungskraft: Angesichts des militärischen Verlustes und der Angst vor dem drohenden Schicksal der Deutschen erschien die Vorstellung vom streng abgegrenzten Österreich nunmehr sehr nützlich. Der politisch bedingte Wille zur Distanzierung von Deutschland war so groß, dass Felix Hurdes, der erste Bundesminister für Unterricht, die Schulfachbezeichnung "Deutsch" durch "Unterrichtssprache" ersetzen ließ. Aus dieser anfänglichen Not ist ein neues Selbstverständis entstanden, das auch auf die Vergangenheit projiziert wurde - und eigentlich noch immer wird. Wie tragfähig dieses Narrativ ist, kann man an der Fassade des Burgtheaters ablesen: Österreich ist zwar von der BRD abgegrenzt, doch ins überstaatliche Deutschlanderbe findet es sich nach wie vor verwoben.

Vor diesem Hintergrund wird nun erklärlich, warum auch im scheinbar klaren Fall des dänischen Untertanen Hebber doch nicht von Entkontextualisierung die Rede sein kann: Ende des 19. Jahrhundert, als das Hofburgtheater am Wiener Ring erbaut wurde, gab es im damals kaiserlich-königlichen Wien noch keine Abgrenzungswünsche, sodass seine Zuordnung zu den Wiener Dichtern gar kein Problem darstellte; und ohnehin war Hebbers Geburtsort schon unter deutscher bzw. preußischer Herrschaft, nachdem österreichische und preußische Truppen 1867 Schleswig und Teile Holsteins erobert hatten.

Zum Schluss kann man also sagen, dass die Fassade des Burgtheaters dreierlei Ehrerbietung aufweist: in nationaler Hinsicht an die "gesamtdeutschen" bzw. schlicht deutschen Dichter im Mittelteil; in regionaler Hinsicht an die Wiener Dichter am rechten Seitenflügel; und schließlich auch in europäischer (damals globaler) Hinsicht an die ausländischen, anderssprachigen Dichter am linken Seitenflügel.

8. Juli 2007

Österreichische Symbolpolitik: Was ist Mozart und Freud gemeinsam?

Der Fall Mozart

Im heutigen Österreich figuriert die Person Wolfgang Amadeus Mozarts bekanntermaßen als Nationalsymbol de facto, was jedoch nicht so nahe liegt, wie man zunächst denken mag: Mozart wurde 1756 im damaligen Fürstbistum Salzburg, also innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, doch außerhalb des seinerzeitigen Österreich geboren. Obwohl die Political Correctness die Abgrenzung "Österreichs" von "Deutschland" postuliert, hat sich die Zweite Republik seine Figur praktisch angeeignet. Nichtsdestoweniger ist Mozart 2003 bei der ZDF-Sendung Unsere Besten zur Wahl gestanden, was in Österreich öffentliche Empörung ausgelöst hat; trotzdem hat er auf Platz 20 rangiert.

Wem "gehört" nun Mozart? Eigentlich - und nicht zuletzt auch rechtlich - gehört er der ganzen Welt, doch gerade an solchen Kleinigkeiten werden bedeutsame Praktiken sichtbar. Aller Aufregung zum Trotz kann Österreich in Bezug auf Mozart den Alleinvertretungsanspruch nicht erheben. Es scheint eher, dass seine Person in Österreich entkontextualisiert wird. Die Zugehörigkeit Mozarts zu Österreich wird v. a. darauf zurückgeführt, dass er auf dem heutigen Staatsgebiet Österreichs geboren wurde, auch wenn er später in Mittel- und Westeuropa praktisch überall auftrat. Jedoch wird dieses ehrliche Kriterium eher inkonsequent angewandt, wie aus dem nächsten Fall zu ersehen ist.

Der Fall Freud

Am 5. und 6. Mai 2006 wurden alle 29 Österreichischen Kulturforen anlässlich des 150. Geburtstages Sigmund Freuds symbolisch, also für diese beiden Tage, in "Sigmund-Freud-Institute" umbenannt. Dass thematisch eher unbeschränkte Einrichtungen sich trotzdem in die Tradition einer bestimmten, weltberühmten Person zu stellen versuchen, um durch diese scheinbare Aneignung der Tradition an Profil zu gewinnen, ist verständlich und insbesondere im deutschsprachigen Mitteleuropa weit verbreitet; man denke etwa an das bundesrepublikanische Goethe-Institut, in dessen Fußstapfen die weltweit verzweigten Österreichischen Kulturforen treten wollen. Problematisch wird diese Form der Traditionsaneignung wohl erst, wenn die Einrichtung einen Staat vertritt, dessen eigentliche Politik der amtlich (wenn auch kurzfristig) angeeigneten Tradition widerspricht.

Vom teilweise skandalösen Umgang der Zweiten Republik mit den zurückgekehrten Juden braucht man hier nicht zu reden; stattdessen ist Ruth Beckermanns Unzugehörig. Österreicher und Juden nach 1945 (Wien: Löcker, 1989) zu empfehlen. Zum Verständnis der Freud-Problematik reicht es also auf Folgendes hinzuweisen: Obwohl die Zweite Republik sich selbst als der Nachfolgestaat der Habsburgermonarchie schlechthin darstellt, wenn es ihr Touristen oder sonstige Gewinne bringt, haben Juden, die selber oder deren Eltern bzw. Großeltern im damals kaiserlich-königlichen Österreich bzw. Cisleithanien geboren wurden (was übrigens nicht auf mich zutrifft), heute keinen Anspruch auf die österreichische Staatsangehörigkeit. Nichtsdestoweniger haben sich die österreichischen Kulturvertretungen im Ausland, wenn auch kurzfristig, doch an den aus Mähren gebürtigen Freud angelehnt, der aber nach der Rechtslage der Zweiten Republik kein Österreicher hätte werden können. Erwähnenswert sind auch die Widmung des 50-Schilling-Scheins am 2. Jänner 1986 (deren Anlass mir unbekannt ist) und die Widmung der festlichen 50-Schilling-Münze im Jahre 2000 (anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Freuds Traumdeutung). Auch in diesem Fall wird die Figur entkontextualisiert und inkonsequent benutzt: Freud wird nur insofern in das Repertoire aufgenommen, als seine Figur Österreich gut repräsentieren kann, ohne dass sein Fall für Österreich bzw. dessen Einwanderungspolitik repräsentativ wird.

Eine mögliche Erklärung

Mir scheint die Entkontextualisierung kein Zufall, sondern ein wesentlicher Zug der nationalen Identitätsstiftung in der Zweiten Republik zu sein. Diese Praktik ist aus dem politisch korrekten Selbstverständnis der Zweiten Republik entstanden und wird noch immer von ihm gezwungen. Dieses nationale Selbstverständnis dogmatisiert die Gegenüberstellung von Österreich und Deutschland als zwei ebenbürtigen, voneinander abgegrenzten Nationalstaaten. Zu diesem Zweck wird ein tragfähiges Narrativ benötigt, weshalb die Vorstellung von Gleichwertigkeit und Abgrenzung auch rückwirkend, d.h. sogar für die Zeit bis 1945 angewandt wird, obwohl das Österreichbewusstsein in der Ersten Republik kaum verbreitet war. Durch die - wenn auch inkonsequente - Aneignung von repräsentativen Personen aus der Zeit vor der Zweiten Republik wird das neue, aber auch auf die Vergangenheit bezogene Selbstverständnis bestätigt.

Bei weiterem Interesse an der verschlungenen Genese des Terminus "Österreich": Zöllner, Erich. Der Österreichbegriff. Formen und Wandlungen in der Geschichte. Wien: Verlag für Geschichte und Politik, 1988

7. Juli 2007

Das kleindeutsche historische Museum

Die Aktualität der "österreichischen Frage" für die gegenwärtige deutsche Geschichtsschreibung lässt sich anhand des Deutschen Historischen Museums in Berlin-Mitte (unter den Linden) sehr gut veranschaulichen. Dort wird nämlich österreichische Geschichte - ob als Geschlechtergeschichte der Habsburger oder etwa als "Präsidialmacht" im Deutschen Bund - kaum thematisiert. Ebenso wenig kommt "Vorderösterreich" bzw. die österreichischen Vorlande (v. a. im heutigen Bundesland Baden-Württemberg) kaum als solche vor. Eine wichtige Ausnahme bildet die zweimalige Belagerung Wiens durch die Türken.

Vor ein paar Monaten war ich im DHM mit einer Studentengruppe, die eine Führung von einem der Mitgestalter der Dauerausstellung bekommen hat. Dabei hat er vor allem die Entstehungsgeschichte der Daueraustellung erklärt und sich auch auf deren Schwachstellen bezogen. Auf meine Frage, weshalb das Thema "Österreich" in der Ausstellung in einem doch so geringen Maße aufgegriffen wird, hat er geantwortet (zwar nicht genau in dieser Formulierung, aber immerhin), dass nicht nur Österreich, sondern auch andere Nachbarländer - wie Frankreich und Dänemark (sic!) - unterrepräsentiert seien und nur insofern ins Blickfeld der Ausstellung geraten würden, als sie direkten Einfluss auf die deutsche Geschichte ausübten (daher die Einbeziehung der Türkenbelagerung Wiens, zu dessen Verteidigung ja auch "deutsche" Streitkräfte beitrugen). Dies rühre daher, dass sich das Gründungskomitee des DHM sehr früh bei der Entwicklung des Museumskonzepts für eine kleindeutsche (sic!) Darstellungsweise entschieden hat.

Die kleindeutsche Lösung der Deutschen Frage war jedoch bis Königgrätz nichts mehr als eine unter mehreren, damals (noch) unverwirklichten Möglichkeiten. Dies kann man etwa daraus ersehen, dass Deutschösterreicher noch kurz vor Königgrätz, nämlich bei der Frankfurter Nationalversammlung, eine zentrale Rolle spielten. Die von den Gründern des DHM getroffene Entscheidung, Österreich "herunterzuspielen" und nicht als führende Kraft in der deutschen Geschichte darzustellen, geht folglich nicht auf historische Tatsachen zurück, die eher gegen diese Entscheidung sprechen, sondern auf die heutzutage vorherrschende Geschichtspolitik, die vorschreibt, dass Österreich sogar rückwirkend, d.h. auch für die Zeit bis 1945, aus der deutschen Geschichte zu entfernen wäre.

Eigentlich ist die im DHM vermittelte Vorstellung von einer deutschen Geschichte, die sich sogar bis in die Antike erstreckt, geschichtswissenschaftlich bereits an sich sehr problematisch. Aber wenn man schon eine epochenübergreifende deutsche Geschichte konstruieren will, soll man natürlich versuchen, alle deutschsprachigen Gebiete, Bevölkerungen und Adelsgeschlechter einzubeziehen. Dass gerade das deutschsprachige Österreich - bis zum Deutschen Dualismus (und gewissermaßen auch dabei) wohl der wichtigste Faktor im deutschsprachigen Mitteleuropa - seinen Platz in der gegenwärtigen Geschichtsschreibung nicht finden darf, weist auf die kraftvollen Zwänge, mit denen wir heutzutage zu tun haben, und somit auch auf die hohe Aktualität der "österreichischen Frage" hin.

Im Hinblick auf diese Zwänge ist es wichtig zu bemerken, dass die heutige Geschichtsschreibung, die sowohl in Deutschland als auch in Österreich die politisch korrekte Geschichtspolitik untermauern soll, tatsächlich nicht den historischen Tatsachen, sondern dieser Political Correctness entspringt und von deren Zwängen bestimmt wird. Vor diesem Hintergrund ragt Karl Dietrich Erdmann heraus, der in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre eine These von drei Staaten (BRD, DDR, Österreich), zwei Nationen und einem Volk entwickelt und damit versucht hat, Österreich wieder in die deutsche Geschichtsschreibung zu integrieren (Erdmann, Karl Dietrich. Die Spur Österreichs in der deutschen Geschichte. Drei Staaten, zwei Nationen, ein Volk? Zürich: Manesse, 1989).

Zum Thema und zur Person

In diesem Blog möchte ich essayistisch, d.h. kritisch und dennoch locker, über das heutige Nationalbewusstsein in der Zweiten Republik Österreich diskutieren. Ich interessiere mich dafür, wie eine österreichische Identität konstruiert und ggf. apologisiert wird.

Ich bin Israeli und habe Germanistik und deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem studiert. Meine Magisterarbeit habe ich zum Thema "Die Auflösung der Judenfrage. Das Bild des Juden im Spielfilm der DDR" geschrieben. Nachdem ich im Sommer 2006 in Wien studiert habe, bin ich jetzt Stipendiat an der FU Berlin.

Meine Stellung als Außenseiter ist hierbei nicht nur von Nachteil: Einerseits muss ich meine Sachkenntnisse immer wieder ergänzen, andererseits kann mir gerade die persönliche Distanz zur kritischen Analyse des Erworbenen verhelfen, was insbesondere bei einem heiklen Thema wie diesem wichtig ist.

Auf Ihre Einwände freue ich mich sehr.